FMH Geschäftsbericht
Geschäftsbericht 2018

03

Global-

budget /

Kostendämpfung

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03

Globalbudget / Kostendämpfung

Das Vorgeplänkel für die eidgenössischen Wahlen 2019 hat bereits im Jahr 2018 begonnen. Die steigenden Gesundheitskosten wurden skandalisiert – Bundesrat, Parlament und politische Parteien überboten sich gegenseitig mit Vorschlägen, wie das zunehmende Problem bekämpft werden solle.

  • Der Bundesrat verabschiedete ein erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung. Die Massnahmen enthalten keine Überraschungen, sind kein grosser Wurf und doch: der Teufel steckt im Detail. Interessanterweise taucht eine Massnahme auf, die vom Nationalrat im Juni 2018 abgelehnt wurde: Die Tarifpartner werden dazu verpflichtet, zwecks Reduktion von Mengen- und Kostenerhöhungen Korrekturmassnahmen in Tarifverträgen vorzusehen. Damit sind degressive Tarife absehbar – oder anders ausgedrückt: ein verstecktes Globalbudget.
  • Doch auch die politischen Parteien haben sich in Hinblick auf die National- und Ständeratswahlen im Jahr 2019 auf die Gesundheitskosten eingeschossen. So lancierte die CVP im Herbst 2018 eine Initiative «Kostenbremse» – auch hier: nichts anderes als ein Globalbudget. Und die SP kündigte an, im Februar 2019 die «Prämienentlastungs-Initiative» zu lancieren, welche fordert, dass kein Haushalt mehr als 10 Prozent des Einkommens für Prämien ausgeben muss. Also eine Bekämpfung der Symptome und nicht der Ursachen.

Eines ist klar: Sämtliche Bestrebungen, welche zulasten der Patientensicherheit und eines guten Zugangs zu medizinischen Leistungen für alle gehen, wird die FMH bekämpfen. Ein Globalbudget wird von der FMH abgelehnt. Warum, dies erklärt der nachfolgende Film.

Globalbudget als Allerheilmittel?

Sehen und hören Sie in die kurzen Videostatements rein. Experten in unterschiedlichen Fachbereichen und aus verschiedenen Ländern erläutern, welche Erfahrungen sie mit Globalbudgets gesammelt haben und was die Nebenwirkungen von Globalbudgets sind.
 

Dr. med. Jürg Schlup

Präsident der FMH

Wenn vom Gesetzgeber nicht definiert ist, bei welchen Patienten, ab wann welche Leistungen vorenthalten werden, wer muss dann diese Entscheidung treffen?

Globalbudgets sind der Startschuss für einen Systemwechsel unseres heutigen Gesundheitswesens! Die Politik will das Rationieren an die Ärztin, den Arzt delegieren: Benötigen die Patienten mehr als die Politik mit dem Globalbudget vorgibt, muss der Arzt, die Ärztin Leistungen verschieben oder vorenthalten.

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Dr. René P. Buholzer

Direktor Interpharma

Was ist das Problem an einem Globalbudget?

Ein Globalbudget hat die grosse Gefahr, dass es das Wachstum und auch den Zugang zu Innovation für den Patienten limitieren wird. Und das wird nicht ohne Qualitätseinbussen für den Patienten sein. Das ist sicher etwas, was wir in der Schweiz nicht wollen.

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Prof. Dr. Ueli Kieser

Institut für Rechtswissenschaften und Rechtspraxis an der Hochschule St. Gallen

Mit dem Krankenversicherungsgesetz KVG besteht ein Leistungsanspruch für die Versicherten. Was passiert mit diesem Leistungsanspruch bei einem Globalbudget?

Krankenversicherung und Globalbudget passt irgendwie nicht zusammen. Wir haben eine Versicherung und eine Versicherung hat zu bezahlen, wenn das Risiko Krankheit eintritt; ob das viel kostet, ob das wenig kostet. Es geht um den einzelnen Leistungsanspruch und der lässt sich nicht deckeln. Globalbudget hat keinen Platz.

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Prof. Dr. Volker Ulrich

Universität Bayreuth

Deutschland kennt das Globalbudget seit 1989. Welche Erfahrungen hat Deutschland mit dem Globalbudget gemacht?

Ein Globalbudget ist ein Instrument der Kostendämpfung. Das hatten wir in den 1970er- / 1980er-Jahren – heute sollten wir die Finanzierung stärker am Behandlungsbedarf ansetzen. Wir wollen das finanzieren, was an Morbidität und medizinischem Fortschritt im System vorhanden ist. Ich sehe nicht wie Globalbudget, technischer Fortschritt und ambulant vor stationär zusammenpassen, da gibt es sicher bessere Steuerungsmethoden. Ein Globalbudget ist zu undifferenziert und eher eine Rasenmähermethode und würde uns im Schweizerischen Gesundheitswesen nicht voranbringen.

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Christian Camponovo

Direktor Clinica Luganese

Die Kantone können heute bereits für den stationären Sektor Globalbudgets einführen. Die Kantone Genf, Tessin und Waadt haben von dieser Option Gebrauch gemacht.

Wir wenden Globalbudgets nun seit fünf Jahren an. In dieser Zeit wurde klar, welche erheblichen Anwendungsprobleme damit verbunden sind. Ausserdem haben wir festgestellt, dass dieses Finanzierungssystem keine Vorteile bietet. Vor allem entstehen falsche Anreize, durch die sich das System anschliessend in eine Richtung entwickelt, die wir nicht wollen: Wir verlieren Qualität und Zeit.

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Dr. Dominik Graf von Stillfried

Geschäftsführer Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland

Deutschland kennt das Globalbudget seit 1989. Welche Erfahrungen hat Deutschland mit dem Globalbudget gemacht?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Globalbudget dazu führt, dass immer neue Interventionen des Staates in das Gesundheitswesen folgen müssen. Da es ja nicht reicht, eine Geldmenge auf der obersten Ebene festzuschreiben, man muss dann auch sagen, wofür sie verwendet werden soll. Bei uns hat das dazu geführt, dass die einzelne Arztpraxis, das einzelne Krankenhaus in ein Korsett gezwängt wird, das sich nicht mehr am Bedarf der Patienten orientiert, sondern eben an finanziellen Vorgaben, die aus der Politik kommen und sich nicht mehr am Gesundheitswesen orientieren und das führt zu einer Verschlechterung der Versorgung und zu einer Erstarrung des Gesamtsystems.

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Heleen Post

Niederländische Patienten- und Konsumentenföderation

In den Niederlanden führt das Nichteinhalten von Ausgabenzielen im Nachhinein zu Budgetkürzungen. Leistungserbringer und Versicherer schliessen Vereinbarungen, um dies zu verhindern.

Wir haben auf Basis von Vereinbarungen ein Globalbudget eingeführt, auf das sich sämtliche Akteure des Gesundheitswesens geeinigt haben. Bezogen auf die Kosten hat dies tatsächlich gut funktioniert. Diese sind nicht so stark gestiegen wie von uns ursprünglich vermutet. Schwachstelle unseres Systems ist aber, dass es die Qualität der Behandlung nicht ausreichend berücksichtigt. Genau das ist aber für die Patientinnen und Patienten der entscheidende Punkt. Mein Rat an die Schweizerinnen und Schweizer: Globalbudgets können sinnvoll sein – aber nur, wenn dabei wirklich die Qualität der Behandlung im Mittelpunkt steht.

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Dr. med. Philippe Eggimann

Präsident der Société vaudoise de médecine (SVM)

Im Kanton Waadt kennt man bereits ein Globalbudget. Welche Erfahrungen haben Sie damit gesammelt?

Tatsächlich gilt im Kanton Waadt seit über zehn Jahren eine Art Globalbudget, in Form eines Kostenziels für die Spitalbehandlung. Dabei wird zunächst ein Jahresbudget vereinbart. Wenn dieses ausgeschöpft ist, wird die Zahlung nachfolgender Leistungen gemindert; sie erfolgt also zu den Grenzkosten. In der Realität funktioniert ein solches Globalbudget in Form eines Kostenziels für die Spitalbehandlung jedoch nicht. Während nach aussen hin die Kosten für die Spitalbehandlung in den letzten zehn Jahren um jährlich 2,3 Prozent gestiegen sind, verbirgt sich dahinter eine extrem hohe Kostenverschiebung. In Wirklichkeit ist das von den Spitalambulanzen fakturierte Volumen in den besagten zehn Jahren um jährlich zehn Prozent gestiegen. Gleiches gilt für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die Zuschüsse, von denen die als gemeinwirtschaftlich anerkannten öffentlichen und privaten Spitäler im Kanton Waadt profitieren. Diese Zuschüsse steigen ebenfalls seit rund zehn Jahren um jährlich zehn Prozent. Insgesamt hat dieses Konzept eines Kostenziels die Spitalkosten scheinbar stabilisiert, aber eben zum Preis einer sehr hohen Kostenverschiebung auf die Spitalambulanzen und die Zuschüsse.

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